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Oder: Was Türme bauen mit der Produktion von Getrieben zu tun hat

Wenn Software Türme baut

Der Kunde

Die Firma melior motion ist ein deutscher Hersteller von Getrieben mit Sitz in Hameln. Die innovativen Getriebe werden in Produkten von Roboterherstellern wie der Fa. Kuka eingesetzt. Die Besonderheit der Präszisionsgetriebe von melior motion ist das sehr geringe Spiel im Getriebe, so dass bei Robotern eine hohe Positionsgenauigkeit erreicht wird.

Der Startpunkt

Im Rahmen einer Anfrage für eine automatisierte Fertigungslinie hatte die Abteilung Hochsprachen Hilfe bei der Analyse einer Excel-Datei geleistet. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Excel-Datei ein zentraler Bestandteil der Produktionslenkung von melior motion ist. Die manuelle Tätigkeit, die ein Mitarbeiter mit dieser Datei ausübt, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Anzahl der täglich produzierten Getriebe. Wir haben uns die Frage gestellt, warum diese Aufgabe nicht durch Software automatisiert werden kann und wie dies zu lösen wäre.

Die Aufgabe

Neben vielen anderen Bestandteilen besteht das Getriebe aus drei Hauptkomponenten. Diese drei Komponenten zusammenmontiert müssen bestimmte maßliche Anforderungen erfüllen. Vereinfacht soll das an Bauklötzen erklärt werden. Aus drei Klötzen, einem gelben Block, einem roten Trapez und einer blauen Spitze wird ein Turm gebildet. Der Turm ist dann korrekt, wenn seine Höhe in einem vorgegebenen Bereich liegt.

Jetzt sind aber produktionsbedingt die Höhen der Klötze nicht immer gleich. Baut man die Türme so zusammenbauen, wie die Teile aus der Produktion kommen, erfüllen manche Türme nicht die erforderliche Höhe.

 

Deswegen werden alle Teile vermessen und ihre Messwerte in eine Excel-Tabelle übertragen. Ein Mitarbeiter schaut sich die Werte an und kombiniert aus passenden Teilen “Türme“, die im geforderten Höhenbereich liegen.

Teile, die übrig bleiben, weil mit ihnen kein passender Turm gebildet werden kann, müssen nachgearbeitet werden, was Mehrkosten verursacht und die produzierte Tagesmenge verringert.

Ziel muss es also sein, so viele „korrekte“ Türme wie möglich zu bauen. Bei einer dreistelligen Anzahl von Teilen pro Tag ist dies eine Aufgabe, die Zeit, Konzentration, Gehirnschmalz und bei schlechten Ergebnissen Geld kostet.

Die Lösung

Wenn man diesen Vorgang in Software gießen möchte, muss man sich erst mal klar werden, mit welchen Zahlen man rechnet.

Im Folgenden soll eine Zusammenstellung der Türme eine Familie heißen. So kann man aus den 6 Bauteilen im obigen Beispiel eine Familie aus 2 Türmen bauen. Stellt sich die Frage, wie viele verschiedene Familien man aus 6 Bauteilen zusammenstellen kann?  (Wer meint die Antwort lautet 42, ist im falschen Film.)

Bei den 2 Bauteilen je Farbe ist das noch einfach abzählbar. Man kann 4 verschiedene Familien zusammenstellen.

Bei 3 Bauteilen je Farbe erhält man schon 36 Familien.

Und weil es mit steigender Anzahl schwierig wird, sich die Kombinationen abzuzählen, gibt es in der Mathematik die Disziplin Kombinatorik, die sich mit solchen Problemen beschäftigt.

Damit kann man berechnen, dass man mit 5 Bauteilen je Farbe 14400 verschiedene Familien zusammenstellen kann. Und mit 10 Bauteilen je Farbe bekommt man 13168189440000 Familien, also etwas mehr als 13 Billionen bzw. 13000 Milliarden Familien. Das entspricht etwa der Anzahl von Reiskörnern in einem Würfel der Kantenlänge von 63 m.

(Zur Veranschaulichung der Türme und Familien anbei die Grafiken)

Und jetzt müsste man in jeder einzelnen Familie die korrekten Türme zählen und die Familie mit den meisten korrekten Türmen, also der geringsten Nacharbeit, als optimale Zusammenstellung finden. Das kann kein Mensch so einfach leisten, übrigens auch kein Rechnerprogramm in vertretbarer Zeit auf einem normalen PC. Zumal die Anzahl der am Tag produzierten Einheiten über 100 liegt.

Die Software

Ein erster Versuch, einen Rechner mit der Suche nach der optimalen Zusammenstellung für 10 Teile je Farbe zu beschäftigen, wurde nach Stunden abgebrochen. Mit der voraussehbaren Rechenzeit war die Software nicht praktikabel einsetzbar. Deswegen mussten wir uns von der Suche nach der optimalen Lösung verabschieden und einen Algorithmus entwickeln, der eine gute (suboptimale) Lösung in einer vertretbaren Zeit berechnet. 

Suboptimal heißt, nicht die beste (optimale) Anzahl von korrekten Türmen zu berechnen. Der Ansatz, die Bauteile nach bestimmten Vorgaben vorzusortieren und dann die Kombinationen zu untersuchen, führte zu einer kurzen Rechenzeit bei gutem Ergebnis. Den von uns entwickelten Algorithmus konnten wir vor Beauftragung zuerst an Daten bereits produzierter Getriebe testen.

Aus den 100 Bauteilen je Typ errechnete der Prototyp der Software 97 korrekte Zusammenstellungen und das in einer Zeit von 0,2 Sekunden.

Der Auftrag

Die Ergebnisse hatten melior motion überzeugt, uns mit der Erstellung einer Software zu beauftragen. Diese sollte die Daten der Bauteile aus der Messmaschine in einer Datenbank speichern und auf Knopfdruck des Bedieners korrekte Bauteilkombinationen berechnen, die dem Werker dann zur Montage vorgegeben werden. Zusätzlich dient die Software der Verwaltung der Bauteile, regelt den Ablauf bei der Nacharbeit und dem Nachmessen und gibt dem Bediener die Möglichkeit, sich bei Reklamationen die Daten der Bauteile noch mal anzusehen.

Das Team

Verantwortlich für die Entwicklung des Algorithmus und der Erstellung einer ersten Prototypensoftware war Udo Kiefer. Matthias Maue hat daraus eine Software erstellt, die dem Bediener eine ergonomische Arbeitsoberfläche bietet und die sich nahtlos in die IT-Landschaft des Kunden integrieren lässt.

Wenn Software Türme baut …

eine weitere erfolgreiche Software für die anspruchsvollen Aufgaben unserer Kunden.